Archiv | 29. April 2013

Wie ich meinen Neurologen schockte.

Bei mir kribbelt es. Wow! Sensation, Sensation!

Ich bin ja MS Patient und als solcher leidlich an Kribbeln jedweder Art und Lokalisierung gewöhnt. Lässt mich komplett kalt, sowas. Heute kribbelt es, morgen piekst es, übermorgen zippert es an einer anderen Stelle und nächste Woche ist es wieder woanders.

Kritisch wird die Sache erst, wenn mir mein Imunsystem wieder Entzündungen baut, bei denen einen der Humor so ein kleines bißchen im Rachen kitzelt aber darüber hinaus im Halse stecken bleibt. Sehnerventzündungen mit kompletten Visusverlust wären da ein Beispiel. Oder Ataxien, die unglückliche Gangstörungen basteln, dafür sorgen, dass das Mittagessen auf drei Stunden ausgedehnt werden muss, weil man den Löffel nur mit Mühe halten kann, oder man sich wegen den Mistkrücken schwerlich komplett selbst anziehen kann. Die uncoolen Dinger halt.

Der letzte Absatz dient der Veranschaulichung. Wenn ich sage „es kribbelt“, dann ist das so als ob andere über das Wetter plaudern. Nichts desto trotz kribbelt es mehr seit einigen Wochen. Das ist Warnstufe 1. Neulich kam dann auch noch Warnstufe 2 dazu. Lhermitte. (Für die Unwissenden: Wenn man den Kopf auf die Brust senkt, dann kribbelt es mehr. Ist ein gängiger Hinweis auf mögliche entzündliche Herde im Rückenmark. Guckt ihr hier – muss aber für sich nichts heißen, kann nämlich unter bestimmten Umständen auch ein Nachgang zu alten Entzündungen sein) Warnstufe 3 kam dann noch erschwerend hinzu: Was ich in den letzten Tagen und Wochen beinahe bzw. auch nicht beinahe über meine eigenen Füße gestolpert und gefallen bin, geht auf keine Kuhhaut. Ich bin zwar ein Tollpatsch vor dem Herrn aber das war dann irgendwie mehr als genug. Dachte ich mir so.

Drei Warnstufen auf einen Schlag waren angesichts des untherapierten Gesamtzustandes der Patientin dann immerhin Grund genug, mal wieder unauffällig beim Doc anzurufen und zu Kreuze zu kriechen. Ich habe mich nämlich die letzten, nunja, drei Jahre reichlich rar gemacht dort. Ich also, nach vielen Debatten im Geiste, hintelefoniert. Ohne Termin geht ja nix.

Also, ich weiß nicht, WAS da im Computer der Sprechstundenhilfe unter „Knoetchen“ steht, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es mir nicht schmeichelt. Vermutlich etwas wie : „Wenn DIE jemals wieder anruft, dann verschafft ihr stante pede einen Termin bei mir. Und wenn die Welt untergeht. Macht einfach und fragt nicht warum.“
Wie ich darauf komme? Nunja. Also. So schnell habe ich noch nie einen Termin bekommen. Am selben Tag innerhalb von 10 Stunden. RÄÄSCHPÄCKT!

Doc war dann auch beim Termin ziemlich unter Strom und wollte mich am Liebsten sofort an den Kortisontropf hängen, was ich mit einem verwirrten „ich denke nicht, dass das bei diesen Beschwerden nötig ist?“ quittierte. Wir einigten uns dann immerhin auf eine kurzfristige Untersuchung im MRT (Terminvergabe: innert 18 Stunden – Nachtschlaf inklusive.. RÄÄSCHPÄCKT! – zum Zweiten.) Mir war das nur billig, jedoch schien mir der Aktionismus irgendwie unbegründet. Aber hey, lieber schnell und schmerzhaft als wieder ewig und drei Tage von Pontius zu Pilatus zu eiern. Den Teil kenn ich nämlich schon. Ich hab keine Zeit, ich bin doch Muddi!

Joa, MRT war dann wie immer – schweine langweilig. Rumliegen, Dröhnen der rasenden Magneten ertragen. Still halten, damit die Jungs von der Radiofront auch was zu gucken bekommen, Kontrastmittel in Vene, weiter rumliegen, aufstehen dürfen aber lieber nur gaaaaanz langsam aufstehen, da sich der Kreislauf irgendwo in Fußbodennähe befindet(wegen des langen, unbeweglichen Liegens), Tüte mit „Fotos“ meiner selbst mitnehmen, raus.

Montag dann kurz (haha, Doc kam zu spät – war Stau -.-) beim Neuro rein. Der schon wieder hochalarmiert, weil.. ja, dieser Eintrag in meiner Computerakte oder so. ER fischt sich die CD aus meiner Riesenbildersammlung, guckt die Bilder an, sieht das gleiche, was ich schon Freitag kopfkratzend begutachtet habe und stellt fest: „Ich sehe da ja rein gar nichts.“ Ja. Ging mir ähnlich. Wird dann wohl so sein. Keine aktiven, Kontrastmittel anreichernden Herde.

Wenn man so gar nicht sehen kann, dann ist das wirklich, WIRKLICH coool! Das ist mehr (bzw. zum Glück eher weniger), als ich nach zwei Jahren Tysabri und anschließend drei Jahren ohne Behandlung erwartet, geschweige denn auch nur erträumt hätte. Erst diese negative Entwicklung mit Schüben im Dreimonatstakt, unangenehmen motorischen Einschnitten, daraufhin Tysabri. Dann Schwangerschaft, Absetzen, zwei große Schübe, davon einer unter Geburt, trotzdem Therapiepause wegen Stillens.. und dann nichts. Immunsystem-Reset nach der Schwangerschaft/Stillzeit, allgemein nachlassendes Immunsystem (übrigens in dieser Hinsicht ein echter Vorteil des Alterns), mehr Glück als Verstand? Wir werden es nicht erfahren.

Dem Doc wurde auch gleich ganz anders, der fing an zu reden (also der redet sonst auch, aber anders..) und erklärte, dass er mit vielem gerechnet hatte, aber damit nicht. Schön. Überraschung aller Orten. Ich erklärte dann noch, dass ich auch nicht angenommen hatte, dass da ein großer Schub am Kommen sei, sondern dass ich das „etwas mehr Kribbeln“ halt einfach zum Anlass genommen hatte, mal wieder an der Realität teil zu haben. Mein Preis: Ein überraschter Blick vom Doc.

Kortison ist zur Zeit auf jeden Fall kein Thema mehr, es sei denn, ich hätte es gewünscht – aber wer will das schon, wenn es nicht nötig ist.

Die Sache hat nun nur leider zur Folge, dass vielleicht (aber auch nur vielleicht) mein Aktenvermerk ein wenig verkleinert wird. Folge hieraus: Auf den nächsten Termin muss ich jetzt wieder satte acht Wochen warten. So kennen wir das doch. 😀

Die „Beschwerden“ (wieder oben gucken beim Teil mit dem Wetter) können übrigens von Herden stammen, die so klein und frisch sind, dass sie im MRT noch kein Kontrastmittel anreichern oder alternativ kann es sich um einen Pseudoschub (so eine Art „Narbenschmerzen“ – vgl. hier – vierter Absatz) handeln. Ich glaube eher an letzteres, denn um offen zu sein, meine Arbeit ist derzeit mehr als nur einfacher Stress. Das ist mehr als offensichtlich, denn ich schaffe derzeit 50% meiner täglichen Arbeit. Bestenfalls. Man hat mir halt zwei Arbeitsplätze auf sechs Stunden gegeben, inklusive diverser Wundertüten. Das ist objektiv nicht machbar bzw. nur zu einem Preis, den mir keiner zahlen kann. Ich habe mit meinem Interims-Unter auch schon darüber gesprochen und hoffe auf baldige Besserung.