Die Geschichte des Stillens ist eine Geschichte voller Missverständnisse.
Bevor ich ein Kind hatte, dachte ich, Stillen sei ganz leicht. Baby zur Brust führen, den Rest erledigt es selbst. Man kann es eben. Bilder von seelig dreinblickenden Mamis mit ihren satt und zufrieden schlafenden Babys prägten meine Gedankenwelt von und um das Thema. Auch konnte ich mir nie vorstellen, länger als sechs Monate zu stillen. Völlig klar, mit sechs Monaten nimmt das Kind dann die Flasche und bekommt Brei.
Ich wurde eines Besseren belehrt.
Stillen lernen war schwer. Es war schmerzhaft. Es war einfach hochgradig unangenehm. Wider Erwarten hat man die Technik eben nicht sofort drauf – weder als Mutter, noch als Baby. Stattdessen kneift das Kind einfach wild drauf los (Anmerkung: Schon beim ersten Anlegen im Kreißsaal hat mir Klein-Annika die ersten wunden Brustwarzen beschert *lol*) und saugt ohne Rücksicht auf Verluste. Ich selbst wusste kaum, wie man das Wurm korrekt anlegt. Theoretisch natürlich schon, aber praktisch ist die Welt eben anders. Hinzu kamen die eigenen und die von außen induzierten Selbstzweifel, die nicht gerade für Entspannung sorgten. Gewichtszunahme und Co., DAS große Thema bei uns in den ersten sechs bis sieben Monaten. Dann dieser ständige Druck, anwesend sein zu müssen, da das Kind die Flasche einfach irgendwann komplett ablehnte. Naja. Dann hatte ich ja lange, lange Schwierigkeiten, im Liegen zu stillen, was meinen Nachtschlaf auf Monate kaputt gemacht hat. Obendrein noch die Features wie Milchstau, Stillstreiks, wunde bis offene Brustwarzen. Die Milchmenge ging zurück, das Kind hatte Hunger, die Beikost bekam ihr aber auch noch nicht. Stillstress an allen Fronten. Hach, ja. Schwierige Zeit. Wirklich.
Irgendwann klappte es dann doch wenigstens mit dem Essen. Mit der Beikost wurde einiges besser. Annika wurde ja Holter-die-Polter auf Milchbrei eingeschworen. Von heute auf morgen dreimal täglich. Das führte endlich zu einer passablen Gewichtszunahme mitsamt der Tatsache, dass unsere Kleine zwischenzeitlich schon eine Art Babyspeck ansetzte (hielt aber nicht lang vor. Ein Wachstumsschub, weg war aller Speck und kam auch nie wieder) sowie dazu, dass Annika überhaupt kein Interesse mehr an Muttis Milch hatte. Zumindest tagsüber. Ich nahm das so hin, strich gelegentlich etwas Milch aus, damit ich keine Milchstaus/Brustentzündungen/whatever entwickelte. Für mich war das Thema durch.
Ich hatte die Rechnung ohne meine Tochter gemacht, denn nachdem sie sich an der Beikost satt gefuttert hatte, kam Madame auf die Idee, dass Stillen ja irgendwie auch cool war und verlangte plötzlich wieder nach der Brust. Hm. Okay. Ich hatte zwar kaum noch Milch, aber das war ja nicht mehr so wichtig. Also wieder ran an die Brust, nahm ich ja an, dass es eh nur kurz sein würde, weil ja kaum mehr was da war. Aber die Geschichte des Stillens ist voller Missverständnisse und eine Relaktation jederzeit möglich 😉
Annika legte es offenbar darauf an, mehr als je zuvor zu trinken. Wir stillten drei oder vier Wochen gefühlt am Stück. Wenn wir nicht stillten, dann trug ich Annika in der Manduca durch die Gegend, wodurch sie auch endlich (!) ruhiger wurde und mein ohnehin angeknackstes Nervenkostüm nicht nicht noch weiter belastete. In dieser Zeit lernte ich auch endlich, liegend zu stillen. Durch den ausgedehnten Körperkontakt und das Stillen im Halbschlaf, kam ich auch endlich wieder zur Ruhe und konnte etwas entspannen.
Was im Anschluss an diese schwere Zeit und die Zeit der Umstellung folgte, war etwa ein Jahr, dass an mein anfängliches Idealbild vom „glücklichen Stillen“ relativ nah heran kam. Wir stillten fleißig nach Bedarf, wir waren ein Team, Mama und Annika. 🙂 Eine tolle Zeit.
Aber nichts ist für die Ewigkeit und so habe ich im Frühjahr begonnen, Annika daran zu gewöhnen, dass es nur noch zu Hause die Brust gibt, ausgenommen Ausnahmen. Das hat sie ganz gut mitgemacht, auf wenn ich dann zu Hause gleich erstmal eine halbe Stunde festgetackert irgendwo saß und das Kind gestillt habe. Aber man tut es ja gern. Mitte Juni kam dann die „Kita-Vorbereitung“ und das Stillen wurde weiter eingeschränkt. Fortan gab es die Brust nur noch zum Einschlafen (und während diverser Selbsthilfe-Gruppen). Hier war schon etwas mehr Überredungskunst notwendig. Mit dem Kindergarten fiel dann auch das Stillen zum Mittagsschlaf naturgemäß weg, so dass ich seit Ende August nur noch einmal am Tag und nachts nach Bedarf stillte – abgesehen von den Wochenenden, an denen ich auch zum Mittagsschlaf gestillt habe. Nachts dafür dann nach Bedarf, das bedeutet irgendwas zwischen zwei- und zehnmal pro Nacht. Genau weiß ich das nicht, denn ich stillte zwischenzeitlich auch komplett schlafend.
Aufgrund des Entzuges der Stillhormone liefen dann doch noch die normalen Hormonprozesse des weiblichen Körpers wieder an, so dass ich mich eines schönen Tages mit der Wiederherstellung meiner Reproduktionsfähigkeit konfrontiert sah. Das war wiederum keine Überraschung für mich, ich hatte den Braten schon einige Wochen zuvor angesichts einiger subtiler körperlicher Veränderungen meinerseits gewittert (NFP!) und mbH über die zukünftige Notwendigkeit von Verhütungsmitteln aufgeklärt. (Aber das ist ein anderes Thema)
Trotzdem unser Stillen an und für sich gut lief, habe ich mir monatelang – schon vor der Kita-Eingewöhnung – den Kopf darüber zerbrochen, wie man ein so großes Kind am elegantesten abstillt. Ich habe keine Lust auf Geschrei, will aber nicht ewig warten und am Ende noch in der großen Pause auf den Schulhof rennen, um mein 8jähriges zu stillen. 😉 Die mir persönlich bekannten Langzeitstillmütter hatten nun aber alle auf radikale Art abgestillt. Abstillen müssen, da sie erneut schwanger und die Brüste hormonbedingt wieder wesentlich empfindlicher waren. Das ist nicht mein Ziel, folglich hat diese Info auch keinen Mehrwert für mich. Also ließ ich das ganze erst einmal so stehen und beschloss, irgendwann wieder darüber nachzudenken.
Nun scheint es jedoch, als würde mir die Nachdenkerei erspart bleiben. Ich habe, bzw. wir haben, mal wieder den Soor. Glaube ich. Dem Kind geht es gut, sie scheint keine Probleme zu haben. Aber meine Brustwarzen- Himmel! So richtig sicher bin ich mir nicht, denn dafür heilt das Ganze zu schnell ab, sobal ich nicht mehr stille. Wir sprechen da von zwei bis drei Tagen konsequenten Nicht-Stillens und schon ist alles wieder hübsch.
Nun steht es also so, dass wir wohl Abstillen. Ich sehe das ein wenig zwiegespalten. Eigentlich wollte ich ja warten, bis Annika das Startsignal gibt. Aber nun sehe ich es eigentlich nicht ein, wenn mein Körper aus dem einen oder anderen Grund das Stillen nicht mehr verträgt und wieder mit wunden Brustwarzen etc. pp reagiert, mich zu diesem Zeitpunkt noch weiter durchs Stillen zu quälen. Denn das wird im Moment wirklich sehr schnell sehr schmerzhaft. Denn Annika ist ja kein Baby mehr sondern ein großes Kind (das just heute anfing, mit einer Kinderschere das Schneiden zu üben o.O) und braucht das Stillen nun wirklich nicht mehr um jeden Preis.
Also habe ich mit mittelgroßer Begeisterung beide Brustwarzen mit einem Polster aus Taschentuch und einer Lage Pflaster professionell „abgeklebt“ (das sieht vielleicht lustig aus *rofl* ) und Annika erklärt, dass die krank seien und wir deshalb ohne Stillen schlafen müssen. Das Abkleben dient dabei einerseits zum Unterstreichen des Tatbestands „krank“ und andererseits wollte ich dringend verhindern, dass ich nachts im Schlaf stille. Letzteres hat nämlich überhaupt erst in diese Lage gebracht, in der wir uns befinden. Ich hatte mich auf langes Debattieren, eigentlich auch Weinen und Jammern, im Schlimmsten Fall auf das Erdulden eines Wutanfalls eingerichtet. Tja, was soll ich sagen. Sie hat es geschluckt. Einfach so. Das Einschlafen ging ganz diskussionsfrei von statten. Nachts musste ich sie zwei mal erinnern, dass das nicht ginge, woraufhin sie sich umdrehte, an mich ankuschelte und weiterschlief. Heute schon den zweiten Tag und inklusive(!) Mittagsschlaf. Okee. Dann lassen wir das jetzt so.
Fazit für mich:
Mal sehen, wie sich das die nächsten Tage entwickelt. Aber wenn es so bleibt wie es ist, dann haben wir wohl nächstens ein großes Thema weniger auf der Agenda und der nächste Schritt in Richtung „allein einschlafen“ ist gemacht.
Es war eine gute Entscheidung, den anfänglichen Stillk(r)ampf durchzuziehen, denn der Gewinn war am Ende höher als der Einsatz. Ich habe es zumindest nicht bereut, Annika so lange zu stillen. Ich bedaure es auch jetzt nicht, abzustillen, denn es ist nach meinem Empfinden der richtige Zeitpunkt. Ich bin glücklich, dass sie es (bis jetzt) so gut mitmacht. Ich habe ein ganz tolles, großes und sehr verständiges Kind.
Ich würde es jederzeit wieder tun. 🙂
Vermutlich stellen sich fast alle das Stillen ganz einfach vor und oft entspricht das dann leider nicht der Realität. Beim ersten Kind war ich völlig fertig, weil es aller Bemühungen zum Trotz nicht klappte, beim zweiten stand ich darüber. Auch über den dämlichen Kommentaren, die man als Mutter zu hören bekommt, wenn man einem sehr kleinen Kind die Flasche gibt.
Die Palette an Sprüchen geht ja von „Aber jede Frau kann stillen, du hast es nicht genug versucht!“ bis hin zu „Warum stillst du nicht, dann würdest du endlich mal abnehmen!“… 🙁
Ich denke, Euer „Abstill-Zeitpunkt“ ist ganz gut gewählt. Irgendwann muss es ja mal sein und das Stillen ist in dem Alter eher Trostspender, ähnlich wie ein Schnuller. Und das mit dem Soor ist echt ein Argument.
Bei uns gewöhnen wir dann jetzt bald auch hoffentlich mal diese olle Flasche ab, denn das ist ähnlich wie beim nächtlichen Stillen eher ein Trostspender. Und doch wollte ich warten bis sie sich im Kiga eingewöhnt hat.
@Michele: mir ging es ähnlich. Stillen war nicht drin, aber Kommentare übers nicht Stillen kommen zu Hauf. Kann das eigentlich nicht jeder für sich entscheiden?
Ich denke, das Hauptproblem ist, dass man, sobald man auch nur schwanger ist, ein Stück „öffentlicher Raum“ wird und jeder gedenkt sich einzumischen. Und Stillen ist inzwischen ein total ideologisch aufgeblasenes Thema.
Hier ist ein netter Artikel zu dem Thema: http://www.zeit.de/2012/18/Mutter-Baby-Stillen/seite-1
Ein toller und aufrichtiger Bericht, der Mut macht, auch mal die ein oder andere schwierige Phase durchzuhalten. Aus meiner Sicht klingt es so, als wäre der Abstillzeitpunkt gut getroffen. Wenn das Kindlein das so schnell annimmt, dann war es auch bereit dafür. 🙂