Unser Gehirn ist eine unglaublich spannende Sache. Wir merken uns tagtäglich hunderte Kleinigkeiten – mal besser, mal schlechter. Bei mir – wie bei den meisten – ist es so, dass ich mir Dinge besser merke, die mich auch emotional in irgend einer Weise beschäftigt haben. Die Erinnerungen an wundervolle oder tieftraurige Zeiten sind bunter und lebhafter als die Dinge dazwischen. Je weiter man zurückgeht, desto emotionaler werden die Erinnerungsfetzen.
Ich kann mich ansatzweise bis zum dritten Lebensjahr zurückerinnern. Da war die Beerdigung, zu der ich unbedingt mitwollte aber nicht durfte, dann ein Gespräch mit meinem Vater und die Sache mit dem beimUmzug „vergessenen“ Spielzeug. Außerdem irgendwie etwas mit einem Schal, den ich umlegen sollte. Die letzte ist unglaublich schwer in Worte zu fassen, es ist mehr ein kurz aufflackerndes Bild, sehr verrauscht und verschwommen. Sie ist vermutlich auch meine „erste“ Erinnerung und liegt, wie ich aus Erzählungen schlussfolgern kann, vermutlich kurz vor meinem dritten Geburtstag, zur Geburt meiner Schwester(?). Das Gespräch mit meinem Vater kann ich am genauesten in Erinnerung rufen, ich erinnere mich nahezu im Wortlaut daran. Vielleicht war das etwas später. Wie auch immer. Auf jeden Fall waren in allen Situationen starke Gefühle im Spiel. Bei der Beerdigung war ich verzweifelt, beim Umzug einfach verärgert, bei dem Gespräch mit meinem Vater hatte ich unglaubliche Angst und bei der Schalsache war ich wütend (ich glaube, ich wollte diesen dämlichen Schal nicht anziehen 😉 ).
Tatsache ist, ich kann mich an meine ersten drei Jahre „natürlich“ nicht erinnern. Zumindest nicht so, wie danach. Der Grund, ist, wissenschaftlich betrachtet, recht einfach. Es fehlte an der Sprachentwicklung. Die Erinnerungen sind schon irgendwie da, aber eben nicht abrufbar. Es ist nur in Gefühlen gespeichert, nie in Worten. Deswegen kann ich vermutlich auch die erste Erinnerung so schwer formulieren, das war wohl eine Mischform zwischen „Babyerinnerung“ und der „normalen“ Form.
Was ich mich schon lange frage.. was ist mit den Erinnerungen aus der Säuglings- und Kleinkindzeit denn nun genau? Wofür wurden die gespeichert, wenn wir doch keinen Zugriff darauf haben? In wie weit beeinflussen uns diese Erinnerungen? Werden wir zu glücklicheren Menschen, weil wir als Baby liebevoll umsorgt wurden oder werden wir angstvolle Menschen, weil unsere Eltern uns allein im Bett schlafen ließen? Welchen Anteil haben die Gene, die ja gern für alles verantwortlich gemacht werden, an unseren Empfindungen und welchen Anteil die Erinnerungen, die Erfahrungen aus frühester Kindheit?
Kann man an mir heute erkennen, wie ich als Kind umhegt wurde?
Ich bin beispielsweise ein Mensch, der sich selbst umgeben von Freunden immer ein wenig einsam fühlt. Ich suche mir das nicht aus, es ist einfach so. Man gewöhnt sich daran. Sollte ich aber daraus schließen, dass meine Eltern mit mir als Kind irgendetwas (nicht) gemacht haben, dass mich so werden ließ? Oder bin ich von Natur aus ein Eigenbrötler? Anderseits schätze ich Gesellschaft durchaus, es ist nur eben … ja.. wieder etwas ohne Worte..
Achja, für den Fall, dass sich einer fragt, worin der Zweck dieses Artikels besteht… ich habe keine Ahnung ^^
Ich finde so etwas auch super spannend und irgendwo hab ich auch etwas zu dem Thema in meinen Unterlagen aus der Ausbildungszeit. Da kam Gehirnentwicklung und son Kram auch mal Ansatzweise dran.
Auf jedenfall kann ich dir sagen, das diese Erinnerungen dein Bindungsverhalten beeinflussen. Denn eine stabile Bindung kann nur entstehen, wenn das Kind umsorgt wird und auf seine Bedürfnisse eingegangen wird, aber ebenso auch autonom sein kann. Kinder mit einer sicheren Bindung zum Beispiel spielen auch alleine und werfen ab und an mal nur einen Blick Richtung Mama, ob sie noch da ist.
Mal so einfach erklärt. Aber das beruht ja auf Erinnerungen, die auch später noch wirken, also nach dem 3. Lebensjahr.
Ebenso stell dir die Gruseltante vor, die irgendwie einen schlechten Eindruck bei dir hinterlassen hat und seit dem hast du jedesmal Angst. Auch Erinnerungen.
Hinzu kommt, das schlechte Erinnerungen oder Eindrücke schwer revidiert werden können, das Bedarf einer hohen kognitiven Leistung und positiven Argumenten. (Vorallem beim ersten Eindruck einer Person)
Ich kann mich auch ein wenig einnern, da war der Unfall meiner Schwester, sie hat sich auf einer Metallplatte den Fuß verbrannt. Im Krankenhaus bin ich dann rausgelaufen zu meinen Opa, der wegen dem Hund draußen gewartet hat und hab ihm erzählt das es brennt. Resultat er ist mit Hund rein. Da war ich so 3 Jahre alt… natürlich hat es nicht gebrannt, aber das aufmachen der Brandblase bei meiner Schwester hat wohl gebrannt und das hab ich wohl aufgeschnappt.
Oder ganz dunkel erinner ich mich an einen Zoobesuch mit Spielplatz und ein kleines Riesenrad, vor dem ich panische Angst hatte. Es gibt sogar ein Bild davon, was die Erinnerunhg stützt. Ich hab wohl als ich oben war riesen Angst gehabt.
Naja nu genug geschrieben..
Ja stimmt, unser frühkindliches Bindungsverhalten beeinflußt uns ja auch ein Leben lang.
Und mit Bildern kann man Erinnerungen wach rufen. Obwohl, ich kann dann nie sicher sein, dass es wirklich meine Erinnerung ist – es könnte genauso gut von jemandem erzählt worden sein und wurde dann auf merkwürdigen Wegen im eigenen Gedächtnis eingewoben. Was übrigens auch sehr gut geht, ist, sich mit Gerüchen zurückzuerinnern. Ich weiß z.B. noch genau, wie es in den heiligen Hallen meines Gymnasiums roch. Oder in der Tschechei, im Urlaub, auf der Straße. Ich würde beide Gerüche sofort wieder erkennen. FlashBack inklusive..
Tja…eine schwierige Frage. In den Zeitschriften von „Gehirn & Geist“ und „Psychologie heute“ wird dieses Thema öfters mal aufgegriffen. Es gibt auch eine recht gute Serie zum Thema Kindesentwicklung. Kannst ja mal schauen, ob du dir die irgendwie organisieren kannst (ich habe nicht mehr alle Hefte, kann dir aber die, die ich habe, leihen).
Es ist wohl so, dass ein Teil in den Genen steckt und ein Teil eben „anerzogen“ ist/auf Erfahrungen beruht, die man so macht. Eben auch in den ersten drei Jahren, an die man sich nicht erinnert. Ich glaube, in „Babyjahre“ von Remo Largo gibt es dazu auch einiges.
Und es ist ja eben so, dass nicht zwingend ein und dieselbe Verhaltensweise der Bezugspersonen in den ersten Jahren zu dem gleichen Ergebnis bei jedem Kind führt. Manche Kinder bekommen schon durch minimale „Fehler“ der Bezugspersonen komische…nennen wir es mal…Macken, andere können enorm viel ab. Wie gut man etwas ab kann, ist individuell sehr unterschiedlich.
Ich habe das ganze Thema in meiner Psychotherapie vor Jahren aufgedröselt. Da kam man nicht drumherum, es wurde in der Vergangenheit gegraben wie nix gutes. Das war streckenweise sehr unschön, denn es kamen Erinnerungen hoch, die man gut vergraben hatte.
Ich erinnere mich auch nur an wenigstes aus den ersten 3 Jahren. Ich kann ganz gut zwischen „vor 3“ und „danach“ unterscheiden, denn die ersten 3,5 Jahre habe ich nicht bei meinen Eltern gewohnt, sondern bei meiner Großtante. Zu Hause war ich nur an den Wochenenden. Diese Zeit habe ich als sehr schön in Erinnerung. Mein Großonkel hat mir zum Einschlafen vom 2.Weltkrieg erzählt…klingt furchtbar, aber war es gar nicht und ich glaube, er war froh, alles mal jemandem erzählen zu können. Und ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mir auf diese Weise die DDR-Krippe erspart haben (das war auch der Sinn der Sache…meine Mutter wollte keine Krippe, aber auch arbeiten gehen, daher die Lösung über meine Großtante, die schon Rentnerin war…). Meinen Kita-Start mit 3,5 Jahren habe ich als sehr schlecht in Erinnerung, vor allem die Kita-Erzieherin…furchtbar! Sowas von inkompetent…aus heutiger Sicht.
Ansonsten erinnere ich mich auch an sehr unschöne Episoden aus meiner Kleinkindzeit. Vor allem der Selbstmordversuch meines Vaters löst bis heute Beklemmungen bei mir aus. Da war ich 2, es war Wochenende, ich somit auch zu Hause, meine Eltern hatten Besuch, es wurde viel getrunken und dann ist mein Vater im 9.Stock auf die Balkonbrüstung gestiegen. Er wurde von meiner Mutter und den Bekannten wieder da herunter geholt. Eigentlich konnte ich mich daran nicht erinnern, ich hatte nur IMMER (auch als Teenager noch) eine diffuse Angst, dass mein Vater sich etwas antun könnte und mein Albtraum hatte immer mit Balkonen zu tun. Als mein Vater vor 6 Jahren (an einem Herzinfarkt) starb, erzählte meine Mutter diese Geschichte aus der Zeit, wo ich 2 war…Und alles kam hoch und das beklemmende Gefühl und alles…Die Erinnerung war also ziemlich eindeutig da.
*schluck*… dein Vater wollte vom Balkon springen? Einfach so aus, dem Nichts? Oder hatte er seinerzeit Probleme?
Bei mir war das auch so ähnlich. Gerade das oben angesprochen Gespräch mit meinem Vater war für mich über viele, viele Jahre prägend. Erst knapp 25 Jahre später ist der Knoten geplatzt und ich habe endlich begriffen, warum er damals das sagte, was er sagte. Er war schlicht und einfach depressiv. Damals schon. Und seither kann ich mit seiner Welt wesentlich besser umgehen, als vorher. Wobei es mir, käme es zum Äußersten, nichts nutzen würde.
Mein Vater war Alkoholiker und hatte immer Probleme. Er war keiner aber von diesem Klischee-Alkoholikern! Er war immer sehr lieb, ist nie ausgerastet oder sowas…Aber er war eben Alkoholiker und depressiv.
Ich hatte immer Angst, dass irgendetwas passiert, weil solche Selbstmord-Ankündigungen auch später dann und wann kamen. Ich saß früher in der Schule und meine Gedanken kreisten nur darum, dass bitte bitte jetzt nichts zu Hause/auf seiner Arbeit oder sonstwo passiert. Als er vor 6 Jahren gestorben ist, war meine erste Frage „Wie?!“. Als sich herausstellte, dass es ein ganz normaler Herzinfarkt war, war ich irgendwie beruhigt (so denn man das in so einer Situation sein kann). Ich kann auch erst seitdem über diese Ängste reden. Davor war die Horrorvision so riesig, dass ich es niemandem gegenüber auch nur aussprechen konnte.
Ich erinnere mich nur extrem selten an Dinge zurück, die länger als ein paar Jahre her sind – und je länger die Erinnerung zurück liegt desto seltener denke ich daran. Ich habe gerade versucht mich bewußt an die frühen Dinge zu erinnern aber ich glaube ich muss ein Spätzünder sein. Der Kindergarten taucht da ganz difus noch auf – aber davor? Keine Ahnung. Vielleicht ist einfach nichts spannendes oder trauriges passiert? Meine erste „echte“ Erinnerung habe ich aus der Grundschule. Alles andere – da bin ich mir so garnicht sicher, ob es eigene Erinnerungen sind oder nur Erzählungen von Dritten.
Ich kann zumindest bisher behaupten, dass man auch mit einem sehr schrägen Vaterverhältnis zu einem normalen Menschen wird. Wobei „normal“ ja relativ ist. Ich glaube eher, dass die behüteten Kinder später zu diesen Menschen werden, die jeder kleinste Rückschlag ins Taumeln bringt. Wo sollen Sie auch gelernt haben, das Leben kein Ponyhof ist.
Ich denke jetzt auch nicht jeden Tag an die fernste Vergangenheit. Das wäre auch irgendwie seltsam.. Und auch ich kann mich spontan kaum an etwas anderes erinnern aus der Kindergartenzeit. Ab der dritten Klasse wird es besser, immerhin. Dafür ist die Zeit zwischen Abi und dem Ende meiner Ausbildung wieder wahnsinnig diffus. Abgesehen davon erinnern wir uns vermutlich alle in 30 bis 40 Jahren wieder lebhaft an unsere Kindheit, wenn wir Rollstuhl an Rollstuhl im Altersheim sitzen und über Vergangenes plaudern. 😉
Ich denke, wenn man sich nicht erinnern kann, selbst wenn man es versucht, dann liegt das zumeist auch daran, dass man sich nicht erinnern will. Das sind innere Barrieren, die uns davon abhalten, bestimmte Ereignisse wieder aufzurufen..
Was deine Theorie über die behüteten Kinder angeht, möchte ich dir nicht beipflichten. Schon weil du „behütet“ nicht definierst. Außerdem ist das Thema zu komplex und mit einfachen wenn-dann-Formulierungen nicht zu lösen.
Ich kann mich kaum eine meine gesamte Kindzeit erinnern. Weder vor noch nach 3. Zwei, drei Erlebnisse, aber nicht mehr. Kindergarten war schrecklich. Meinen Onkel mag ich bis heut nicht sonderlich, wobei er so kinderlieb sein soll… Ich höre immer meinem Bruder und meiner Cousine zu, die ungefähr gleichaltrig sind, die wissen definitiv mehr. Auch die Grundschulzeit ist auf zwei, drei Ausnahmen wie ausgelöscht. Die Erinnerungen fangen erst ab der Realschulzeit an.
Sich alleine fühlen in einer Gruppe … kenne ich, ist aber wohl nicht zwingend auf die Zeit zwischen 0-3 Jahren zusammenhängend, sondern auch Charakter bedingt. Das sehe ich an meiner Tochter, die von Anfang gegenüber allem sehr misstrauisch war. Und selbst die Zwillingsschwester der Oma nie als Oma, sondern als Fremde Person bzw. Claudia gesehen hat, wobei das sonst alle Kleinkinder NICHT unterscheiden können.
Ich höre immer meiner Schwester zu, die ist zwar drei Jahre jünger als ich, weiß aber viel mehr.. ich vermute daher, ich habe auch früher schon sehr in meiner eigenen (Fantasie-)Welt gelebt..
Ich hör denen ja auch gern zu, wobei ich aber eigentlich nicht sagen kann, dass ich in einer Fantasiewelt lebe oder gerne in eine solche eintauche. Das liegt mir weit entfernt.
Mmmh.