Dinge entwickeln gelegentlich eine erstaunliche Eigendynamik.
Da haben sich also in der Silvesternacht Männer in Gruppen verabredet um gemeinschaftlich, Mädels zu begrapschen und zu bestehlen. Ob die Vergewaltigung, die nicht hinten über fallen soll aber die in unser ganzen Hysterie um „Köln“ irgendwie untergeht, Teil dieser „gemeinschaftlichen Aktion“ war oder eher eine unabhängig begangene Tat eines einzelnen ist, weiß ich nicht.
Soweit so scheisse.
Ich bin allerdings angetan ob der genauen Bestimmung der Heimatländer der Männer.
Aus dem Maghreb stammend, nordafrikanisch.
Die haben also, während sie die Frauen belästigten, bedrängten und sie beklauten, noch erwähnt, wo sie herkommen? Wahnsinn, was für intensive Gespräche man in solchen Bedrohungsszenarien führt. Gruppen von Männern, die mich gegen meinen erklärten Willen anfassen und sich mir gleichzeitig vorstellen? Hä?
Aber seis drum, ich habe in meiner rassistischen Schublade tatsächlich ein Bild dieser Leute gefunden. Grundaussage: Mittelbraune Haut, dunkle Augen und Haare. Typisches Gesicht.
Dumm nur: Diese Definition lässt sich im Zweifel auch auf Libanesen, Türken, Iraner, Saudis, Araber im Allgemeinen anwenden. Die wenigsten von uns werden doch einen Marokkaner von einem Palästinenser oder einem jungen Iraner unterscheiden können. In der beängstigenden Stresssituation während eines sexuellen Übergriffs. Wenn Betreffender nicht gerade spricht und ich die Sprache identifizieren kann oder Betreffender seine Herkunft auf die Stirn tätowiert hat.
Muslimisch.
Okay? Woran erkenne ich eigentlich einen muslimischen Mann, wenn er nicht gerade in einer Moschee betet? Mittelbraune Haut, dunkle Augen und Haare? Spricht Arabisch oder ähnlich klingende Sprachen? Palästinensertuch aufm Kopf? Hat nen Rucksack dabei, stammelt – vor sich ins Nichts starrend – Suren aus dem Koran und ruft dann laut „allahu akbar“ bevor er sich in die Luft sprengt? Okay, letzterer wird es wohl nicht sein, denn der ist ja so „streng gläubig“, dass er einer Frau noch nicht mal in die Augen schauen wird, geschweige denn, sie begrapschen!
Sind dann Christen neuerdings auch alle blond, hellhäutig und haben blaue Augen? So als Abgrenzung zu den Muslimen.
Nun, wenn afrikanische, südamerikanische, asiatische Gläubige demnächst per definition aus dem Christentum gestrichen werden, bekommt „frohe Botschaft“ für sie sicher auch eine ganz neue Bedeutung. Was wohl der Papst dazu sagt, wenn ihm das Gros seiner Herde plötzlich abhanden kommt?
Ich persönlich habe dunkle Augen, dunkle Haare und im Sommer hellbraune Haut, sollte also eher Muslima sein. Meine winterlich-mitteleuropäische Haut ist aktuell ein kleines Problem, aber durch mehr Sonnenexposition – z.B. zwei Wochen am Strand der Costa Brava – ließe sich das auch auf einen Farbton nahe mittelbraun verbessern bzw. ich sollte gleich Nikab tragen. Ist einfach, man sieht meine blasse Hautfarbe nicht und es wirkt „authentischer“. Vielleicht wechsle ich auch meinen Glauben je nach Jahreszeit – im Sommer bin ich Muslima, im Winter Christin? Interessante Idee.
Und wie ist das eigentlich mit asiatischen Menschen, sind das alles Hindus („indisch“ aussehend) und Atheisten („Chinesen“)? Oder haben die möglicherweise auch verschiedene Glauben? Also abgesehen davon, das der Hinduismus keine homogene Religion ist wie das Christentum oder der Islam? Wir wollen uns ja nicht in DEtails verlieren.
Nun, in Indonesien haben sich ja gerade einige Menschen im Namen Allahs in die Luft gesprengt. Unabhängig von den Grausamkeiten, für die Allah bei Terroristen allerorten so herhalten muss, werden das wohl vor allem Indonesier gewesen sein (denn es ist doch unwahrscheinlich, dass IS Kämpfer aus Syrien und Irak abgezogen hat, um sich in einem Einkaufszentrum zu sprengen..), die wie Indonesier ausgesehen haben. 88% aller Indonesier sind Muslime. Ich habe mal die Bildersuche bei einer großen Suchmaschine angeworfen und geschaut, wie der gemeine Indonesier so aussieht.. aber verdammt! Die sehen so gar nicht typisch „muslimisch“ aus, eher „indisch“ – mein schönes konstruiertes Weltbild!
Nun zur Eigendynamik.
Es ist schlimm genug, dass sich unsere Medienvertreter wie die Geier auf die Vorgänge der Silvesternacht stürzen. Wenn mir jeden Tag eine noch höhere Zahl an Anzeigen bei der Kölner Polizei um die Ohren geworfen werden. Es sind hohe Zahlen, sicher. Nur, welchen Informationsgehalt hat die Aussage, dass es nun 400 oder 500 oder 573,258 Anzeigen seien? Wie soll ich, als Fernsehzuschauer, Zeitungsleser und Internetkonsument diese Zahl werten? Weiß ich, wieviele Übergriffe in so einer Silvesternacht „normal“ sind und wieviele Anzeigen? Weiß ich sicher, dass sich in den Vorjahren alle Betroffenen gemeldet haben (Bekann ist doch: Sexuelle Gewalt ist ein schwieriges Thema und die Scham, zu Polizei zu gehen und dort noch einmal wiedergeben zu müssen, was vorgefallen ist, hält viele Frauen ab..)? Was trägt die tägliche Dokumentation der neu eingegangenen Anzeigen in den Nachrichten zur Problemdefinition bei? Dass es viele sehr viele zu viele waren, war doch bereits am 4. und 5. Januar klar. Machen wir es mit unserem Informationswahn der Polizei nicht schwerer, die eingegangen Anzeigen zu sortieren, zu gewichten und hoffentlich aufzuklären? Setzen wir die Ordnungsorgange nicht unter den Druck, schnell Ergebnisse und Verdächtige zu präsentieren, einfache Lösungen zu suchen und dabei möglicherweise wichtige Dinge zu übersehen? Es geht doch schon los… 500+ Anzeigen, erste Verdächtige festgenommen (und nach zwei Stunden Verhör wieder auf freien Fuß gesetzt?), es fehlt noch der Boulevard mit dem Bild des „nordafrikanischen, muslimischen“ Mannes. Ich habe große Hoffnungen auf diesen Titel bei BILD: „Das sind die Kölner Sexmonster“.
Sie ist wieder da – die Angst vor Überfremdung. „Wir“ gegen „die anderen“. „Wir“, das sind die „Deutschgeborenen“, die wir ein einheitliches Wertesystem teilen (Tun wir das wirklich?) „Die anderen“, dass sind „die Muslime“, „die Flüchtlinge“, eben all die, die so aussehen wie die Täter der Kölner Silvesternacht. Daher gehen die Rechten wieder vermehrt auf die Straße, und beginnen, wahrscheinlich auf Basis eigener Erhebungen, Polizisten und Journalisten anzugreifen und in Gruppen Ausländer zu verprügeln.
Die Kölner Übergriffe werden auch international durchaus beachtet, ebenso unsere unmittelbaren Reaktionen:
BBC berichtet
NYT
CNN (Ich verspüre eine starke Abneigung gegen das im Artikel verwendete Wort „deportation“. Ist vermutlich historisch bedingt. Geht das nur mir so?)
Auch spannend: CSMonitor
Nochmal CNN.
Ich finde ja, die englischsprachigen Medien haben einen interessanten Blick von außen auf die Dinge und eine Unaufgeregtheit, von der sich unsere Nachrichten – Von Bild bis Spiegel, von Süddeutscher Zeitung bis Zeit, Von RTL bis ARD – eine Scheibe abschneiden könnten. Auch was die Frage des Umgangs mit den zahlreichen Flüchtlingen angeht, sehen die englischen Medien die Angelegenheit wesentlich differenzierter (und kritischer).
Bei den deutschen Medien denke ich mir derweil nur noch: Soviel Gegacker und kein Ei!