Archiv | 10. Januar 2017

Vorbilder

Ich habe gestern etwas sehr spät mein Cortison bekommen, drum bin ich schon die halbe Nacht wach.
Also habe ich mir gedacht, ich mache mal was sinnvolles und gebe ein Lebenszeichen von mir und schreibe hier mal was über Vorbilder.

Jeder hat ja irgendwelche Vorbilder. Ich habe drei.
Zumindest zwei davon sind schon tot, das ist aber rein biologisch durchaus begründbar.

Mein erstes Vorbild ist die Oma der Gartennachbarn meiner Eltern.
Die hatte seinerzeit einen Oberschenkelhalsbruch und es dank Hund und altersgerechtem Fahrrad (Dreirad) geschafft, wieder auf die Beine zu kommen und noch viele Jahre aktiv zu bleiben.
Das hat mich schon als Teenager begeistert und ich habe bereits damals – also vor 20 Jahren – für mich festgestellt, dass es eine gute Idee ist, um im Alter beweglich zu bleiben, und dass ich das definitiv auch so wie sie machen werde. Ich liebe nämlich Fahrradfahren über alles und eine meiner größten Sorgen nach dem Rollstuhl ist, irgendwann dauerhaft nicht mehr mit dem Fahrrad fahren zu können. Deswegen habe ich auf meiner Notfalliste neben so praktischen Dingen wie einem schicken (so was gibts tatsächlich 😉 ) Gehstock und einem Duschhocker auch ein attraktives „Dreirad für Große“ stehen.

Als zweites wäre meine Hanneloma zu nenen.
Bei ihr hat mich neben ihrer ungeheuer herzlichen Art vor allem fasziniert, dass sie mit noch knapp 70 Jahren jeden Tag ihre Morgengymnastik gemacht hat.
Die Frau war damals wahrscheinlich beweglicher als ich. Das gibt zu denken.
Im Ernst, wer macht das schon? Spätestens im Alter wird man ja doch immer bewegungsunwilliger, sei es aus gesundheitlichen oder Schweinehundgründen.
Jedenfalls bemühe ich mich, wenn ich nicht grade krankheitsbedingt danieder liege, etwas ähnliches zu Stande zu bringen.

Mein drittes Vorbild habe ich nur einmal gesehen.
Das war 2006, die Zeit, zu der ich eindeutig viel zu viel Zeit in Krankenhäusern verbracht habe.
Ich kam frisch und voller Vorfeude (nicht ganz.. genaugenommen war ich völlig aufgelöst in Tränen der Wut und Verzweiflung) in das Krankenzimmer. Da kam mir diese Frau im Rolli entgegen. Wir sprachen kurz über Ms und sie sagte diesen einen Satz, der sich langfristig zu einer Art Mantra für mich entwickelt hat: „Man kann mit der Krankheit und den Medikamenten heute sehr lange gut leben.“
Damals gab es nur Interferone als Basistherapie und im Zweifel noch Mitox (eins meiner no-gos. bevor ich das nehme muss sehr, sehr viel passieren!).
Die Zuversicht mit der sie das sagte. Im Rollstuhl sitzend. Ich war damals noch ganz am Anfang und wirklich geschockt angesichts des Blickes in die Zukunft (von wegen Rolli usw., das wollte ich nicht sehen.) Aber ich habe mir vorgenommen, dass ich auch so zuversichtlich sein möchte. Immer.
Es hat einige Jahre gedauert aber ich denke, ich habe es im Wesentlichen geschafft. Schübe sind immer noch Mist, es macht mich weiterhin wütend und verzweifelt. Aber nur am Anfang. Ich gehe zuerst das Notwendige an, dann kurz heulen, schließlich duschen und anschließend nehme ich es hin und warte mehr oder weniger geduldig ab. In der gesunden Zeit mache ich die Dinge, die mir wichtig sind und Spaß machen. Fahrradfahren, Schwimmen, Sauna, Musik, mein Garten. Das einzige was ich leider nicht so gut kann, ist Pause machen. Ich höre meinen Körper wohl. Allein, ich will manchmal einfach nicht hören. Aber es wird, ich vermute das kommt mit dem Alter.